Das Stricken im Schulunterricht

Waren es bis Anfang 1600 Männer und Frauen gleichermaßen, die dem gewerblichen Handstricken nachgingen, so stricken im häuslichen Umfeld bald überwiegend Frauen und junge Mädchen.

Das Handstricken im häuslichen Bereich

Geschichte BuchDie Gründe zum Erlernen des Handwerks änderten sich lange Zeit kaum. Durch das Ausüben von Handarbeiten wie Stricken, Weben und Nähen konnten Familien sich kostengünstig Kleidung selbst herstellen. Indem Auftragsarbeiten angenommen oder gefertigte Stücke auf Märkten verkauft wurden, besserten Familien ihren Lebensunterhalt auf.

Strickkleidung war sehr beliebt, die Herstellung verursachte nur geringe Anschaffungskosten und die Arbeit konnte in geselliger Runde von den Frauen ausgeführt werden. Selbst Kinder wurden im Stricken angeleitet. Das Wissen über die Technik wurde innerhalb der Familie meist durch die ältere weibliche Generation an die Jüngere weitergegeben. War dieser Unterricht zu Hause nicht möglich, gab es Frauen in der Nachbarschaft, die kleinere Gruppen von Kindern betreuten und ihnen das Handarbeiten beibrachten.

Strickschulen

Private Strickschulen bildeten sich ab dem 16. Jahrhundert, da nicht mehr in allen Familien gewährleistet werden konnte, dass die Mädchen die gleiche Schulung im Umgang mit der Nadel erhielten. Gründe dafür waren die zunehmende Berufstätigkeit von Frauen und der damit verbundene Zeitmangel. Der Beginn der maschinellen Herstellung von Kleidung und anderen Textilien stellte die Notwendigkeit des Erlernens dieser Fertigkeiten zusätzlich in Frage.

Neue Erziehungsgrundsätze

Ab dem 18. Jahrhundert wurden spezielle Erziehungsgrundsätze für Kinder entwickelt. Alle Ideologien dieser Zeit sehen die Rolle der Frau in der Gesellschaft ähnlich. Sie hat ihren Platz in der Familie als Mutter und Hausfrau. Der Mann ist das Oberhaupt der Familie und die Aufgabe der Frau war es, sich um Haushalt, Kinder und ihren Mann zu kümmern. Um diese Tugenden zu verinnerlichen, mussten Mädchen frühzeitig gut erzogen werden. Als eine Methodik, ihnen die geforderten "Tugenden" anzueignen, zählte auch das Stricken.

Hand- und Nadelarbeit ab 1800

Zur gleichen Zeit gab es schon die ersten Versuche, die Hand- und Nadelarbeiten verbindlich in den Unterricht der Volksschulen aufzunehmen. Das Erlernen dieser wichtigen Fertigkeit wollte man nicht mehr länger der Eigenverantwortung der Eltern oder den Privatschulen überlassen. Doch die Bemühungen dazu waren, je nach Herr- schaftsgebiet in Deutschland, unterschiedlich. Erst ab dem 19. Jahrhundert wurde die Handarbeit in den öffentlichen Schulunterricht, vorerst als freiwilliges Fach, aufgenommen.

Eltern hatten von da an keinen direkten Einfluss mehr auf den Lernstoff ihrer Kinder.

Die Einführung des Faches erfolgt zunächst in der höheren, dann in der mittleren und ab Mitte des 19. Jahrhunderts auch in der niederen Mädchenschule. Die Handarbeitslehrerinnen waren meist nicht ausgebildet, sondern kamen aus dem nachbarschaftlichen Umfeld. Die Techniken wurden zuerst durch Einzelunterricht nach dem Prinzip des Vor- und Nachahmens vermittelt. Diese Methodik wich nach 1861 dem Gesamtunterricht im Klassenverband. Das obligatorische Lehrfach Nadelarbeit gab es in Deutschland seit dem 15. Oktober 1872.

In erster Linie sollten die Techniken vermittelt werden, die es den Schülerinnen ermöglichten, eigene Textilien herzustellen oder auszubessern. Dazu zählten das Stricken, Nähen, Stopfen und Flicken. Auch im Hinblick auf die Aussteuer entstehen sogenannte Mustertücher. Das Häkeln beispielsweise zählte zu den Luxusarbeiten und hatte im Unterricht nur einen geringen Stellenwert.

In der Zeit um 1900 stellte die Beschaffung der benötigten Unterrichtsmaterialien, wie Wolle oder Stoff, für Angehörige der Mädchen der mittleren oder höheren Töchterschule kein Problem dar. Anders erging es ärmeren Familien, deren Kinder Volks- oder Landschulen besuchten. Diese hatten oft nicht genügend finanzielle Mittel, ihren Kindern die geforderten Arbeitsmaterialien zur Verfügung zu stellen.

Hand- und Nadelarbeit ab 1900

"Viele Jahre hindurch war das Stricken verpönt. Ein Mädel, das stricke, galt als 'altmodisch und spießig', und das 'sachlich-moderne' Mädel glaubte, nicht Zeit zu haben zu solchen 'Überflüssigkeiten'. Man konnte all diese Dinge ja fertig kaufen - wozu da noch selber stricken? Die Maschine stellt alles billiger und 'rationeller' her."
[ Zechlin, R. (1944) ]

Im Unterricht soll die Handarbeitslehrerin den Blick der Schülerinnen mehr für Ästhetik und Schönheit schärfen, als es vorher der Fall gewesen ist. Am Beispiel des Handarbeitsunterrichts ist besonders gut zu erkennen, dass der in den Schulen vorgetragene Lehrstoff unmittelbar mit den vorherrschenden gesellschaftlichen Strukturen im Zusammenhang steht.

In der Weimarer Republik

In der Weimarer Republik erhielt auch das Frauenbild einen Wertewandel. In den 20er und 30er Jahren galt das "Tippfräulein mit adretter Bluse, schickem Bubikopf und Seidenstrümpfen" [ Ruhrtalmuseum Schwerte (2005) ] als Verkörperung der neuen, selbstständigen Frau. Diese Berufstätigkeit sollte aber auch nur solange von den Frauen ausgeübt werden, bis sie sich als Ehefrau ausschließlich mit der Führung des eigenen Haushaltes zu beschäftigen hatten.

Der Zweite Weltkrieg

Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 wird dieses neue Frauenbild wieder verdrängt. Die gesellschaftliche Anerkennung wird der Frau nur als Mutter und Hausfrau zuteil. Das führt im Jahr 1937 dazu, dass die gymnasiale Ausbildung für Mädchen abgeschafft wird. Nach der Mittelschule einen höheren Abschluss zu erlangen war den Frauen nur möglich, wenn sie einen Nachweis über ihre "hausfraulichen Kenntnisse" erbrachten. Darunter zählten neben dem Unterricht in Kinderpflege u.a. auch das Beherrschen von Nadelarbeiten.

Die in der Schule gefertigten Stücke aus Stoff und Wolle sollen einen praktischen Verwendungszweck besitzen. Die Kinder werden mehr im Stopfen und in der Resteverwertung geschult als im Verzieren und Neuanfertigen von Textilien.

In Zeiten des Krieges, in denen funktionale, wärmende Kleidung rar geworden war, wurde die Handarbeit und insbesondere das Stricken als "Dienst am Vaterland" verstanden. Die im Unterricht gefertigten Wollkappen und Kniewärmer wurden nach ihrer Fertigstellung den Soldaten geschickt. Aber nicht nur in den Schulen, auch im privaten Raum wurde für das Militär Kleidung angefertigt. Es wurden immer mehr Strickstuben gegründet, in denen sich Frauen aller Gesellschaftsschichten trafen, um den Soldaten an der Front Kleidung bereitzustellen.

Die Nachkriegsjahre

Mit Kriegsende wandelte sich auch das Schulsystem. In den ersten Nachkriegsjahren war ein geregelter Unterricht kaum möglich. Erst in den 1950er Jahren normalisierte sich der Schulbetrieb und das Schulsystem wurde reformiert. Mit dem Fach Nadelarbeit wurde dabei in der DDR und BRD unterschiedlich verfahren.

Nadelarbeit in der BRD

In der BRD wurde das Fach Nadelarbeit abgelöst durch das Textile Gestalten oder Textiles Werken. In diesem Fach lag der Fokus mehr auf der Förderung der eigenen Kreativität und dem Sinn für Stil, als auf der Herstellung von funktionalen Arbeiten. Durch das ständig wachsende Konsumangebot wurde die Herstellung und Reparatur von Textilien immer mehr als überflüssig angesehen.

Nadelarbeit in der DDR

In der Zeit von 1959 bis 1971 war das Fach Nadelarbeit in der DDR obligatorisch für alle Schüler der 3. und 4. Klasse. Ab dem 1. September 1971 wurde es fakultativ in der 4. und 5. Klasse angeboten. Es soll die Bedeutung der Handarbeit in der Familie vermitteln. Im Unterricht wurden nützliche Gegenstände, wie Pudelmützen, Schals, Topflappen und Fausthandschuhe hergestellt. Eine spezielle Ausbildung für die Lehrerinnen der Nadelarbeiten erfolgte nicht.

Nadelarbeitsunterricht heute

Nach der Wiedervereinigung wurden die Lehrpläne der damaligen DDR größtenteils an die der westdeutschen Länder angeglichen. Das in der DDR nur noch fakultative Nadelarbeiten wurde aus den Lehrplänen gestrichen. Aber auch das Textile Gestalten rückt heute immer mehr in den Hintergrund und wird entweder in den Kunstunterricht mit eingegliedert oder vollständig vernachlässigt. Die Techniken der Handarbeiten werden, wenn überhaupt, nur noch in der Grundschule vermittelt.

Quellen:
Mitteldeutscher Rundfunk: (2011) Die heilsame Kraft der Maschen
Greiner, S.: (2002) Kulturphänomen Stricken: das Handstricken im sozialgeschichtlichen Kontext, Remshalden-Grunbach: Verlag Bernhard Albert Greiner
Ruhrtalmuseum Schwerte: (2005) Mädchenbildung in Schwerte am Beispiel des Handarbeitsunterrichts 1870 - 1970; Begleitheft zur Ausstellung "Mädchenmuster - Mustermädchen"
Kirchofer, A.: (2012) Der Handarbeitsunterricht im geschichtlichen Rückblick
Zechlin, R.: (1944) Werkbuch für Mädchen zugleich auch für Mütter, Kindergärtnerinnen und Lehrerinnen, 10. Auflage, Eßlingen: Otto Maier Verlag Ravensburg
Schiffler, H.: (2012) rechte Masche - linke Masche - Geschichte des Handarbeitsunterrichts
Binder-Stoerk, B.; Härtel, D.; Kurstedt, C.; Krutzsch, E.; Maurer, J.: (1988) Nadelarbeitsunterricht: Fachlich-methodische Hilfen zum fakultativen Nadelarbeitsunterricht in den Klassen 4 und 5, 7. Auflage, Berlin: Volk und Wissen Volkseigener Verlag Berlin
Ministerrat der Deutschen Demokratischen Republik, Ministerium für Volksbildung (Hrsg.): (1985) Lehrplan Nadelarbeitsunterricht (fakultativ) Klassen 4 und 5, Berlin: Volk und Wissen Volkseigener Verlag Berlin